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Edgar Morin

Leben, Werk und Wirkung

Edgar Morin ist wohl  einer der bedeutendsten Denker der Gegenwart. Er ist Soziologe, Anthropologe und Philosoph, der die Grenzen der wissenschaftlichen Disziplinen überschreitet und mit seiner Philosophie der Komplexität eine neue Richtung für Wissenschaft und Forschung vorgegeben hat; zugleich ein streitbarer Intellektueller, der sich nicht scheut, Vorschläge für eine humane planetare Politik zu machen, die uns aus der gegenwärtigen Polykrise herausführen könnte.

Die frühen Jahre
Edgar Morin wird 1921 als Edgar Nahoum in Paris als Sohn einer Familie sephardischer Juden aus Thessaloniki geboren. Als er zehn Jahre ist, stirbt seine Mutter – ein Ereignis, das ihn tief prägen wird. Als Hitler Frankreich überfällt, tritt der Kommunistischen Partei (KPF) bei und engagiert sich in der Résistance. Er nimmt den Decknamen Morin an, den er auch nach dem Krieg als Pseudonym behält.

Wissenschaftliches und politisches Engagement nach 1945
Ab 1949 entfremdet er sich immer stärker vom stalinistischen Kurs der KPF, 1951 wird er ausgeschlossen. Er engagiert sich weiterhin politisch, zum Beispiel gegen den Algerienkrieg.
Nach dem Studium von Geschichte, Geographie und Jus erhält er 1950 eine Stelle als Soziologe am Centre national de la recherche scientifique (CNRS), einer der bedeutendsten Forschungseinrichtungen des Landes. Er beschäftigt sich mit Film, Fernsehen und Populärkultur – Themen, die damals noch kaum erforscht wurden. 1977 wird er Forschungsdirektor am CNRS, eine Position, die er bis zu seiner Emeritierung 1993 innehat.

Theoretiker der Komplexität
Nach Auslandsaufenthalten in den 1960er Jahren in Südamerika bzw. in Kalifornien (Salk Institute for Biological Studies) entwickelt Morin seine Anthropologie: der Mensch als bio-kulturelles Wesen (Le Paradigme perdu : la nature humaine 1972, dt. Das Rätsel des Humanen) – eine Grundlage für sein philosophisches Hauptwerk, die sechs Bände La méthode [dt. Die Methode] (1977-2004). Dieses enzyklopädische Werk beschäftigt sich mit der Natur, der Biologie, dem Wissen und den Ideen, der Anthropologie, und schließlich mit Ethik und Politik. Spezifisch ist sein Postulat von der Komplexität aller Natur- und Lebensbereiche, der man mit wissenschaftlichem Komplexitätsdenken gerecht werden müsse.

Planetares Denken – Anthropolitik
In seinem Manifest Terre-Patrie (1993, zusammen mit Anne-Brigitte Kern, dt. Heimatland Erde 1999) entwickelt Edgar Morin sein Konzept einer planetaren Politik. Angesichts der Gefahr der Selbstvernichtung der Menschheit gelte es, das Bewusstsein von der Zusammengehörigkeit aller Menschen untereinander und aller Menschen mit der sie umgebenden Natur auf unserem Planeten, dem gemeinsamen Heimatland Erde, zu entwickeln. Die pädagogische Umsetzung dieser Ideen findet sich im Handbuch Les septs savoirs nécessaires à l’éducation du futur (1999, dt. Die sieben Fundamente des Wissens für eine Erziehung der Zukunft, 2001).

Bedeutung
Morins bahnbrechendes Denken findet schon lange breite Resonanz in verschiedenen Teilen der Welt. Trotz seines hohen Alters schaltet sich Edgar Morin in Zeitungsinterviews, den sozialen Medien, Aufsätzen und Büchern nach wie vor in das aktuelle Geschehen ein und arbeitet unermüdlich am Projekt der Zivilisierung der Zivilisation. Es ist wohl die Freude am Leben, am Dasein und der aktiven Anteilnahme am Schicksal unseres Heimatlands Erde, die ihn so jung erhält.